Stillstand ist ein Begriff den ANOMALIE und Mastermind Marrok nicht kennen. Das manifestiert sich auch im neuen Studioalbum "Tranceformation", welches am 26.11.21 via AOP Records das Licht der Welt erblicken wird. Und schon mit den Vorboten verdeutlichte das Projekt einmal mehr, dass sie ihren Wurzeln, die ursprünglich noch im Post-Black-Metal-Bereich verankert waren, immer mehr den Rücken kehren. Das neue und zugleich vierte Full-Length-Album klingt naturverbundener und spiritueller als die Vorgänger. Wir haben mit Marrok über das neue Werk und die Veränderungen gesprochen. Wir haben mit ihm über seine Kindheit gequatscht, über Schamanismus und vieles vieles mehr...
J.D.W.E.: Hallo Chris, es freut mich sehr, dass ich dir ein paar Fragen zu "Tranceformation" stellen darf und bedank ich mich in Vorhinein für deine Zeit. Aber fangen wir doch gemütlich an. Wie geht es dir und wie war dein Tag bis jetzt?
Marrok: Soweit ganz gut, danke. Ich bin gerade ein paar Wochen bei meiner Freundin quasi in meiner zweiten Wahlheimat und beobachte das aktuelle Geschehen in Österreich und den umliegenden Ländern etwas aus der Ferne, worüber ich nicht gerade unglücklich bin, muss ich gestehen.
J.D.W.E.: Dein neues Album beginnt mit der frisch veröffentlichten Single "Trance I: The Tree". Zugleich auch eines meiner Lieblingslieder des Albums. Der Song baut eine solch eindringliche Atmosphäre auf, die sich schon bald in ihrer vollen Pracht entfaltet. Kannst du mir erzählen, wie der Song entstanden isat?
Marrok: Der Song entwickelte sich aus der Idee für den allerersten Part. Ich hatte eines Tages die Melodie für die Gesangsspur über diesen bewusst monotonen Sound-Teppich, also habe ich eine Zeit lang mit gewissen Text-Fragmenten experimentiert bis ich die richtige Wortwahl gefunden hatte um besagte Melodie zu realisieren. Im weiteren Prozess habe ich dann erst mal den Song instrumental zu Ende geschrieben und mich dann im Zuge der Vocal-Aufnahmen in der Vorproduktion spontan dazu entschieden den restlichen Text auch Clean zu singen, um zu sehen was dabei raus kommt. Ursprünglich waren deutlich mehr traditionelle Black-Metal-Vocals geplant und es ist wohl diesem Experiment zu verdanken, dass ich mir für den Verlauf des restlichen Albums stimmlich mehr zugetraut habe!
J.D.W.E.: Wie kann man sich generell die Entstehung eines Anomalie-Songs bei dir vorstellen? Was ist zuerst da: die Melodie oder der Text? Oder ist das unterschiedlich?
Marrok: Das eben angesprochene Beispiel der Entstehung von "The Tree" stellt bislang definitiv eine Ausnahme dar, denn in der Regel steht bei mir immer erst das instrumentale Gerüst. Mir fällt es sehr viel leichter Songs zu schreiben als die passenden Worte dafür zu finden. Durch den Schritt aktuell mehr zu Singen als zu Schreien rückt jedoch die Melodik der Vocals an eine wichtigere Stelle als früher, wodurch ich mir schon vorstellen kann, dass in Zukunft auch immer wieder mal eine Idee für Gesangslinien der Anstoß für einen neuen Song sein könnte.
J.D.W.E.: Hast du beim Songwriting bestimmte Rituale? Schreibst du zum Beispiel an bestimmten Orten am liebsten oder zu bestimmten Uhrzeiten?
Marrok: Das verändert sich eigentlich ständig, hängt aber oft für die Phase eines Albums zusammen. "Refugium" hatte ich innerhalb einiger Wochen in einer fast täglichen Frühmorgen-Routine in meinem damaligen Wohnort Salzburg geschrieben und als Vorproduktion aufgenommen. Das "Visions"Album verbinde ich stark mit zwei speziellen Orten an denen sehr viel entstanden ist, teilweise in den Österreichischen Alpen und teilweise in der tristen Landschaft Islands. Die Songs auf "Tranceformation" entstanden - wenn ich mich richtig erinnere - ausschließlich abends, beziehungsweise nachts, nachdem ich den für mich gesunden Schritt raus aus der Stadt zurück in die ländliche Gegend meiner Kindheit vollzogen habe. Aktuell schreibe ich an ersten Ideen für das Nachfolgealbum, welches das erste Album sein wird, welches ich in meinem eigenen Haus direkt an der Donau schreibe und ich merke schon, wie sich das Leben am Fluss auf die Art und Weise meines künstlerischen Ausdrucks auswirkt. Ich bin also definitiv ein Mensch, der mit jedem Album eine spezielle Zeit und auch konkrete Orte, Erinnerungen und Personen verbindet.
J.D.W.E.: Wie lange hast du insgesamt an dem neuen Album gearbeitet? Ich habe gelesen, dass du anfangs etwas Anlaufschwierigkeiten hattest? (Davon ist auf jeden Fall beim Ergebnis nichts spürbar.)
Marrok: Es wäre wohl ehrlich gesagt nach außen auch nicht spürbar gewesen, wenn ich ein Album aus den Ideen des ersten Jahres nach der "Integra" EP geformt hätte, es hätte sich jedoch entweder mehr nach den beiden Vorgängern angehört oder gezwungen anders, was beides qualitativ nicht unbedingt schlechter bedeutet hätte, allerdings fühlte sich einfach lange Zeit nichts so richtig nach einem natürlichen Schritt vorwärts an und ein musikalischer Stillstand hätte wahrscheinlich dem ein oder anderen Fan sogar gut gefallen, nachdem die letzten beiden Veröffentlichungen sehr gut aufgenommen wurden. Ich bin jedoch nicht der Typ dafür, ein Album in ähnlichen Zügen zu reproduzieren, nur weil etwas gut funktioniert hat. Mir ging dann glücklicherweise Anfang 2020 plötzlich ein Licht auf und ab diesem Moment schrieb sich das Album fast von selbst und war innerhalb weniger Monate fertig.
J.D.W.E.: Aber nicht nur der Song "Trance I: The Tree" ist ein kleines Meisterwerk, sondern auch das Video, das dazu gedreht wurde. Wie weit warst du bei der Videoproduktion integriert und wie gefällt dir selber das Ergebnis?
Marrok: Die Grundidee zum Video stammt zwar aus meiner Feder und ich war bei den Dreharbeiten immer aktiv dabei, allerdings geht das Endergebnis zu großen Teilen auch an meinen Videoproduzenten Andreas J. Borsodi und die fantastische Susanne Ramberger, die mit ihrer unglaublich ausdrucksstarken Art die perfekte Wahl für die Story war. Es fühlt sich gut an diesmal ein Video veröffentlicht zu haben, welches mit den zu erwartenden Elementen und Klischees teils bewusst bricht und stattdessen - denke ich - viele Menschen sehr direkt und alltagsnah anspricht. Die Message dahinter steht sehr für meine eigene Lebensphilosophie und ich habe diesmal sehr bewusst auf einen eher bühnen- ästhetischen Zugang verzichtet, um das Thema möglichst greifbar und real zu visualisieren und das ist - denke ich - durchaus gelungen ohne dabei zu weit von der visuellen Identität von Anomalie abzuschweifen.
J.D.W.E.: Ich hab mich in dem Video irgendwie selber wieder gefunden, was ich sehr faszinierend fand. Auch ich habe als Kind im Wald ein paar Kleinigkeiten versteckt mit dem Hintergedanken, dass ich sie als erwachsene Person wiederfinde und mit anderen Blicken sehe. Hast du selbst Ähnliches als Kind getan? Warst du viel in der Natur unterwegs?
Marrok: Als Kind gingen meine Eltern mit mir glücklicherweise regelmäßig wandern, was sicherlich der Grundbaustein für meinen heutigen Bezug zur Natur darstellt und dafür bin ich meiner Familie überaus dankbar, vor allem in dem Wissen, dass sie das nur wegen mir so praktiziert haben und seither leider selbst kaum noch den Weg ins Grüne finden. Ich selbst habe mir damals nichts für mein späteres Ich hinterlassen, die Idee dazu entsprang eher meiner Faszination für die Leichtigkeit und unvoreingenommene Ehrlichkeit des kindlichen Wesens in den Jahren bevor äußere Einflüsse der Gesellschaft die Wahrnehmung von Prioritäten und die eigene Meinung verzerren. Ein Kind beurteilt ein anderes Kind viel mehr nach den simplen eigenen Eindrücken ohne dabei sinnlose und von der Gesellschaft vordefinierte Meinungs-Schablonen wie Rassismus oder Statussymbole zu berücksichtigen. Ebenso sorgt man sich in jungen Jahren noch wesentlich weniger um Probleme die eigentlich keine sind. Natürlich ist es keine Lösung das Leben durch die Augen eines Kindes zu betrachten und danach zu leben, jedoch ist es - finde ich - essenziell sich einen gesunden Anteil der Unbeschwertheit unserer ersten Lebensjahre bewusst zu erhalten. Auf diesem Gedanken basierend kam mir die Idee der Nachricht des jüngeren Ichs an sich selbst, wohl wissend, dass es eben auch Kinder da draußen gibt, die ähnliche Nachrichten tatsächlich irgendwo in der Natur verstecken.
J.D.W.E.: Und wie ist es heute... Wie verbringst du am liebsten deine Freizeit?
Marrok: Ich bin immer noch sehr gerne draußen unterwegs, verbringe so viel Zeit wie möglich mit den Menschen in meinem engsten Umfeld und kann mir als hauptberuflicher Künstler in der Regel meine Tage auch sehr frei einteilen. Nachdem ich allerdings von einem nie endenden Drang zur Produktivität angetrieben werde und nebenher auch als passionierter Tour-Manager und Tontechniker ab und an bei anderen Bands im Hintergrund mitmische und oben drauf seit 2020 auch mein eigenes Festival organisiere, gibt es eigentlich nur wenige Tage im Jahr, wo ich wirklich gar nichts arbeite, dafür fühlt sich normalerweise ein Arbeitstag in meinem Leben sehr gut an, es ist also alles sehr schön ausbalanciert zur Zeit, auch wenn die Corona bedingten Tour-Absagen, die sich nun auch für den kommenden Winter nochmals anbahnen, natürlich mittlerweile sehr frustrierend sind...
J.D.W.E.: Auf dem neuen Album hat sich Anomalie musikalisch auf jeden Fall stark weiterentwickelt und die Folk-Black-Metal-Klänge treten stark in den Vordergrund. Ich nehme an, dass dieser Wandel bewusst von dir vollzogen wurde?
Marrok: Ich wollte auf jeden Fall bewusst einen klaren Schritt vorwärts machen, das stimmt. Allerdings ist das konkrete Ergebnis doch eher ein Produkt reiner Intuition, denn erst als ich damit aufhörte ständig darüber nachzudenken wie dieser Schritt konkret klingen könnte fand ich den richtigen Weg auf einmal fast von selbst. Ich habe zu keinem Zeitpunkt in den Spiegel gesehen und zu mir gesagt "Jetzt braucht es mehr Folk-Einflüsse!". Tatsächlich hat mich das Wort "Folk" sogar erst mal sehr abgeschreckt, als ich die Bezeichnung zum ersten Mal in Verbindung mit meiner Musik wahr genommen habe, da wohl die fürchterliche Pagan-Metal-Welle in den späten 00er Jahren den Begriff für mich lange Zeit untrennbar mit lächerlicher Pseudo-Vikinger-Spaßmusik assoziieren hat lassen. Natürlich hab ich schnell verstanden, dass der Term im Fall von Anomalie einfach im Bezug auf die erdigen teils akustischen Parts und die generelle Naturverbundenheit verwendet wird und das ist auch völlig okay. Die Folk-Einflüsse auf frühen Werken von Ulver oder natürlich auch Bathory haben mich offensichtlich immer wieder mal inspiriert, die Herausforderung besteht allerdings für mich immer darin, solche Einflüsse in meinen eigenen Stil und im Einklang mit der langfristigen klanglichen Identität von Anomalie möglichst kreativ und hochwertig zu integrieren.
J.D.W.E.: Bei "Trance II: Relics" hat mich vor allem auch der Text sehr beeindruckt und gefesselt. "I have learned that silence bears the wisdom of our time".. welch wahre Worte, die zur heutigen Zeit mehr als nur perfekt passen. Würdest du dich selber eher als ruhigen Menschen bezeichnen, der sich oft lieber seinen Teil denkt als ihn mit der breiten Öffentlichkeit zu teilen?
Marrok: Abseits meiner Texte und Anomalie-Interviews halte ich mich öffentlich tatsächlich sehr zurück, was meine Gedanken und Meinungen zu jeglichen großen Themen betrifft. Ich bin auch im Alltag ein ziemlich ruhiger Mensch, wobei mich speziell einige meiner Freunde so ruhig wiederum kaum kennen, da ich in der richtigen Gesellschaft durchaus gerne und vor allem ausführlich über alle möglichen Dinge rede. Ich bin nur kein Fan von oberflächlichen Gesprächen und um mich mit mir fremden Menschen über wichtige Standpunkte auszutauschen, fehlt mir ehrlich gesagt völlig das Interesse an der Meinung der Allgemeinheit, nicht bezüglich gesellschaftspolitischer Themen und noch viel weniger was Kunst und Musik betrifft. Ich hab mir über die Jahre meine eigene kleine Bubble geschaffen und versuche mich nur so viel wie wirklich nötig mit dem Rest der Welt zu beschäftigen, was natürlich nicht heißt, dass ich die Augen davor verschließe, was um uns herum passiert, ich sehe nur keine Notwendigkeit darin mich über Dinge zu äußern, die ich nicht ändern kann beziehungsweise von denen ich im Detail viel zu wenig Ahnung habe, um mir überhaupt eine stichfeste Meinung bilden zu können. Das Eingeständnis zu wenig Grundwissen über bestimmte Fachgebiete zu haben, um eine faktenbasierte Meinung vertreten zu können, ist keine Schwäche sondern viel mehr eine Größe, die ich mir von sehr vielen Personen da draußen wünschen würde, da wir alle tagtäglich die Konsequenzen von gefährlichem Halb-Wissen mittragen müssen.
J.D.W.E.: Wie reagierst du, wenn es dennoch jemand mal schafft, das Fass zum Überlaufen zu bringen?
Marrok: Ich bin zum Glück generell ein sehr kontrollierter Mensch und in der Regel auch nicht sonderlich nachtragend, da ich mich lieber auf die Menschen konzentriere, die meine Aufmerksamkeit, Zeit und Energie auch verdient haben. Es wird immer Personen geben, die unseren Fokus aufs Negative lenken, ich erachte es allerdings als äußerst destruktiv sich darauf zu sehr einzulassen, denn es sind oft die zwischenmenschlichen Konflikte, die unsere Energie wie ein schwarzes Loch konsumieren und im Endeffekt beide Parteien davon abhalten in der selben Zeit bereits nach vorn zu blicken und an etwas zu arbeiten, das die Situation für das eigene Empfinden verbessern könnte.
J.D.W.E.: "My time has come to leave this world behind..." Hast du selber schon mal mit dem Gedanken gespielt, dieser Welt zu entfliehen?
Marrok: Die Zeile des Songs ist im Kontext so zu verstehen, dass es an der Zeit ist sich mental auf eine höhere Ebene zu begeben, die Welt der Oberflächlichkeiten, der Schnelllebigkeit und der geistigen Abgestumpftheit den Rücken zu kehren, um die Basis für ein bewussteres und ausgeglicheneres Leben zu bilden. Deine Frage ist allerdings natürlich auch auf verschiedene Arten interpretierbar. Geografisch gesehen habe ich definitiv schon mal überlegt meine Welt hier zumindest teilweise zu verlassen, um irgendwo im Norden Europas etwas abgeschiedener zu leben. Ob ich darüber nachgedacht habe dem Leben an sich zu entfliehen? Definitiv nicht, nein. In schwierigen Phasen einfach aufzugeben wäre für mich absolut nicht vertretbar. Wir gehören zu den paar Prozent der Weltbevölkerung, die überhaupt die Zeit und den Komfort haben sich großteils mit absoluten Luxusproblemen zu beschäftigen. Solche Probleme wirken sich natürlich trotzdem teilweise gravierend auf unseren Gemütszustand aus, ich versuche jedoch für mich selbst in solchen Situationen nie aus den Augen zu verlieren, wie viel in meinem Leben insgesamt immer noch extrem gut läuft. Oft hilft mir dabei eine einfache Wanderung, die mir nach wenigen Stunden bewusst macht wie relativ unser Empfinden von Prioritäten ist, speziell wenn es um Dinge geht, die uns kurzfristig mental belasten und das oft im ersten Moment völlig unproportional intensiv. Ich weiß absolut zu schätzen, was ich habe und versuche auch jeden Tag demnach zu leben, auch wenn es dadurch nicht automatisch immer leicht fällt, denn auch "Tranceformation" würde nicht so klingen, wie es klingt, wäre ich nicht mitten im Prozess teilweise psychisch an meine Grenzen gestoßen. Was man auf dem Album heute hört, ist jedoch die Vertonung meines Weges hinaus aus diesem mentalen Loch und wenn ich heute zurück blicke, ist dieser Weg durchaus gelungen, auch wenn ich ihn mitten drin oft selbst nicht sehen konnte – Aufgeben ist für mich nie eine Option!
J.D.W.E.: Was glaubst du passiert mit deiner Seele nach dem Tod?
Marrok: Ich glaube, dass Begriffe wie "Seele" und selbst die Definition von "Tod" prinzipiell der menschliche Versuch ist etwas in Worte zu fassen, was sich als lebender Mensch nicht begreifen oder ergründen lässt. Ich befasse mich sehr wenig mit "was wäre wenn"-Fragen, die ich offensichtlich solange ich atme nicht beantworten kann. Ich bin allerdings überzeugt davon, dass die menschlich wahr genommene Realität definitiv nicht alle Ebenen der absoluten Existenz abdeckt, dazu fehlen uns einfach die nötigen Rezeptoren, oder wie auch immer man es nennen will. Ob unsere Beschränkung an Wahrnehmungsmöglichkeiten auch mit der Weiterexistenz unserer selbst auf anderen Ebenen zusammenhängt oder nicht lässt sich schwer sagen, dadurch allerdings auch definitiv nicht ausschließen, was das Thema ja auch so interessant macht.
J.D.W.E.: Man liest häufig, dass Anomalie als Shamanic Black Metal beschrieben wird. Beschäftigst du dich sehr mit Schamanismus und Spiritualismus? Was fasziniert dich daran am meisten?
Marrok: Diese Bezeichnung an sich ist erst mal definitiv ein Zeichen dafür, dass es zur Zeit offensichtlich vielen schwer fällt meiner Musik einen passenden Stempel aufzudrücken. Ich hab noch keine Genre-Bezeichnung für das Album gelesen oder gehört, die ich 100% so unterschreiben würde und ich fasse das indirekt in erster Linie als Kompliment auf. Viele halten ja immer noch an „Post Black Metal“ fest, was sicherlich mit meinem frühen Material und auch meiner Position in Harakiri for the Sky zu tun hat, allerdings finde ich diese Bezeichnung für Anomalie absolut irreführend. Ich persönlich verbinde mit dem Begriff Bands wie Alcest, Lantlos, Les Discrets oder durchaus auch Harakiri und allesamt sind musikalisch wie inhaltlich Welten davon entfernt, was ich mittlerweile mache. Daher kann ich mit "Shamanic Black Metal" noch deutlich besser leben und die Bezeichnung kommt der Ästhetik und dem Vibe von "Tranceformation" grundsätzlich sicherlich nahe, gemessen an dem wie es viele Hörer empfinden. Ich kenne allerdings persönlich einige Menschen, die sich seit vielen Jahren sehr tiefgehend mit Schamanismus auseinander setzen und unter anderem aufgrund dieser Bekanntschaften ist mir bewusst, dass der Begriff an sich mit Vorsicht zu genießen ist. Einerseits weil ich trotz eigenem Interesse an der Materie zu viel Respekt vor jenen Leuten habe, die ein wirklich hohes Verständnis und Wissen in diesem Bereich aufweisen und andererseits, weil besonders im Black Metal ähnliche Begriffe oft ärgerlich inflationär und zu reinen Promotion-Zwecken verwendet werden und ich möchte ehrlich gesagt ungern in der selben Schublade mit solchen Trend-Jägern landen, zumindest nicht indem ich berechtigte Argumente liefere. Ich habe seit einigen Jahren unüberhörbar einen persönlich starken Bezug zu besagten Themen aufgebaut, was erst mal nur auf privater Ebene passierte bevor ich erste Erfahrungen auch langsam in meine Musik mit einfließen ließ. Mir ging es mit Anomalie jedoch nie darum jemanden zu belehren, viel eher versuche ich die Lehren, die ich aus meinem Leben ziehe, in musikalische Denkanstöße zu verpacken, die nicht nur Menschen anspricht, die eine spirituelle Lebenseinstellung verfolgen, sondern auch jene Hörer beschäftigt, die versuchen die Welt völlig rational zu reflektieren, denn ich war selbst viele Jahre ein Vertreter zweiterer Philosophie bevor mich spezielle Erlebnisse und Bekanntschaften zu einer offeneren Sichtweise bewegt haben.
J.D.W.E.: Gibt es einen Song vom Album, der dir besonders viel bedeutet und wenn ja, warum?
Marrok: Hinter jedem einzelnen Song steckt eine sehr spezielle Geschichte, ein konkreter Auslöser, Erfahrungen und/oder Erinnerungen an gewisse Orte und Personen, es würde hier den Rahmen sprengen auf all die Hintergründe einzugehen und es ist für mich unmöglich einen der Songs über die anderen zu stellen.
J.D.W.E.: Mit Nornagest (ENTHRONED) und Sakis Tolis (ROTTING CHRIST) hast du auch zwei sehr spannende Gast-Musiker mit am neuen Album. Wie gehst du bei der Wahl der Gastmusiker vor und wie kamen die Kollaborationen zustande?
Marrok: Anfänglich plane ich eigentlich nie mit Gastmusikern zu arbeiten, die Idee dazu die beiden Herren einzuladen entstand sehr spontan während ich an den Texten für die jeweiligen Songs arbeitete. Bevor ich die endgültigen Worte wähle, habe ich immer bereits konkrete Phrasierungen und Stimmlagen für jeden Abschnitt eines Songs im Kopf und bei beiden Songs kam mir mitten im Schreibprozess plötzlich die Stimme der Gastsänger in den Kopf. Ich hätte versuchen können mit meiner eigenen Stimme möglichst an die originale Inspiration heran zu kommen, allerdings kenne ich sowohl Sakis als auch Nornagest bereits seit einigen Jahren von gemeinsamen Festivals und Touren und da ich beide auf persönlicher Ebene sehr zu schätzen gelernt habe, entschied ich mich dann schnell dazu sie zu fragen, ob Interesse an einer Kollaboration besteht. Die Details waren dann schnell geklärt und wie man am Album hören kann, hat alles wunderbar funktioniert und ich bin froh zwei solch starke Persönlichkeiten mit dabei zu haben.
J.D.W.E.: Mit welchen Bands bzw. Künstlern würdest du in Zukunft gerne noch zusammenarbeiten? Gibt es da ein paar Wunsch-Kandidaten?
Marrok: Darüber denke ich ehrlich gesagt nie wirklich nach. Es kann schon sein, dass sich früher oder später wieder eine Zusammenarbeit mit anderen Musikern ergibt, allerdings immer unter der Voraussetzung, dass es musikalisch wirklich Sinn macht und der Song dadurch merklich aufgewertet wird und ich würde niemanden auf eines meiner Alben holen, den ich nicht persönlich kenne und schätze. Gastbeiträge einzig zu Werbezwecken finde ich äußerst witzlos und künstlerisch in den meisten Fällen wertfrei.
J.D.W.E.: Wie sehen die nächsten Monate bei dir aus? Was sind deine Pläne?
Marrok: Ursprünglich hätte ich zwischen Mitte November und Mitte Februar bis auf ein paar Tage um Weihnachten herum meine Zeit auf drei Europa-Tourneen in Folge verbringen sollen. Die erste der Touren wurde leider vor wenigen Tagen kurzfristig abgesagt und nun beginnt das große Zittern was mit den nächsten Terminen in meinem Kalender passiert. Ich hoffe natürlich bald wieder einen Nightliner betreten zu können, werde allerdings auch weiterhin jede Zwangspause möglichst sinnvoll nutzen, zur Zeit unter anderem mit dem Weiterbau meines eigenen Hauses und dem Songwriting für das nächste Anomalie-Album! Was Anomalie-Shows betrifft muss ich immer erst mal abwarten wie viel Zeit ich neben den Live-Aktivitäten für Harakiri for the Sky noch übrig hab, da diese Band seit über drei Jahren in mehreren Funktionen meinen Hauptberuf darstellt, allerdings wird es auch die ein oder andere interessante Möglichkeit geben Anomalie 2022 live zu erleben!
J.D.W.E.: An dieser Stelle sag ich jetzt einfach nur: DANKE!
Marrok: Danke ebenso für deine Zeit und das gut durchdachte Interview!
Interview: Manuela Ausserhofer
Comments