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Interview: MYSTIGMA über "Gebete", Alpträume, Glauben, Melancholie & vieles mehr



MYSTIGMA präsentieren mit "Gebete" zum einen ihr bereits sechstes Studioalbum und zeigen sich dabei so düster und melancholisch wie noch nie zuvor. Entstanden ist ein bis ins kleinste Detail durchdachte Dark-Rock-Album der Sonderklasse. Wir haben mit den Brüdern Jörg und Torsten Bäumer nicht nur über das neue Album gesprochen, sondern zum Beispiel auch darüber, wie es ist mit dem eigenen Bruder in einer Band zu sein, warum es sie dieses Mal auf noch finstere Pfade geführt hat, welche Alpträume ihnen manchmal den Schlaf rauben und noch einiges mehr...


J.D.W.E.: Es freut mich sehr, dass ich euch einige Fragen zu eurem neuen Album „Gebete“ stellen darf. Es sind doch einige Fragen geworden, aber ihr habt auch jede Menge tolles Material geliefert. Aber legen wir doch mal gemütlich los. Wie geht es eucht? Wie war euer Tag bis jetzt?

Jörg Bäumer: Hallo Manuela. Vielen Dank der Nachfrage, bei uns ist alles bestens.


J.D.W.E.: Aber kommen wir doch direkt zum neuen Werk. Das Album geht los mit der Vorabsingle „Schockraum“, die mir persönlich wirklich sehr gut gefällt und ich finde der Song ist als Opener perfekt gewählt. Könnt ihr mir etwas über den Entstehungsprozess des Liedes erzählen?

Jörg Bäumer: Der Song ist einer der härteren auf dem Album, das hat sich hier ein wenig so ergeben, weil wir der Meinung waren, dass nach dem Intro mit dem langsamen Spannungsaufbau ein knalliger Einstieg in den Song und schlussendlich auch in die ganze Platte folgen sollte. Es war dann früh klar, dass „Schockraum“ wohl der Opener von „Gebete“ sein wird. Trotz der härteren Gitarren und Doublebass-Drums, hat die Nummer aber auch die nötigen Melodien, was uns auch immer wichtig ist.

J.D.W.E.: Ein Zitat aus dem Song „Schockraum“: „Im Alptraum-Inferno setz ich dein Leben in Flammen...“ Das bringt mich zu einer Frage etwas abseits der Musik. Habt ihr selbst öfter Alpträume? Vielleicht könnt ihr mir von einem ganz bestimmten (vielleicht besonders schlimmen/einprägsamen?) Alptraum erzählen?

Jörg Bäumer: Ich muss zugeben, dass ich manchmal schon Alpträume habe. Kurz nach dem Aufwachen erinnere ich mich auch an den Inhalt und es läuft ein ganzer Film ab. Im Laufe des Tages schwindet dann meistens die Erinnerung an den Traum. Eines bleibt bei mir aber und ich mache keinen Hehl daraus: Ich träume oft, dass ich von fremden Wesen (Aliens?) entführt werde.

J.D.W.E.: Was entsteht bei euch generell vorher? Der Text oder die Melodie eines Liedes? Wie kann man sich den Entstehungsprozess eines Mystigma-Liedes vorstellen?

Jörg Bäumer: In der Regel schreibe ich zuerst die Musik. Manchmal gibt es ein Thema, welches wir in Angriff nehmen möchten, allerdings dann noch ohne Text. Nicht selten existiert aber gar nichts, es liegt dann sozusagen „ein leeres Blatt vor mir“, um mal aus „Erlösung“ zu zitieren. Songs selbst entstehen ganz unterschiedlich. Manchmal schwebt mir plötzlich eine Melodie vor, die ich so dahin summe, um sie dann möglichst schnell mit der Gitarre oder dem Keyboard festzuhalten. Andere Ideen entstehen durchaus auch durchs unbedarfte spielen auf der Gitarre oder an den Tasten. Wenn ich denke, dass eine Songstruktur Substanz hat und es sich lohnt daran weiterzuarbeiten, bekommt zuerst Torsten das Material, er schreibt dann den Text dazu. Im weiteren Prozess geht es dann an die Feinarbeit, die gezielte Ausarbeitung der Vocal-Linien, das setzten der Texte etc.


J.D.W.E.: Im Gegensatz zu eurem Vorgängeralbum „Unter Wölfen“ finde ich „Gebete“ etwas melancholischer, teilweise trauriger und emotionaler. Noch eine Spur dunkler. Habt ihr das bewusst angestrebt oder haben einfach die letzten Monate, in denen wir ja alle auch an der Pandemie zu kämpfen hatten, dafür zu stark geprägt?

Jörg Bäumer: Es freut mich, dass Du das so empfindest. Die Songs entstehen nicht nach einer Schablone, sondern die entwickeln sich einfach und das ist ja auch das Schöne am Songschreiben. Dennoch hatten wir schon die Absicht eine sehr düstere Platte zu machen. Ich persönlich war zu der Zeit auch zum Teil in dieser Stimmung und wollte gezielt diese Melancholie mehr denn je ins Musikalische ausdrücken. Düster, traurig und zeitgleich eingängig, das war aber auch generell die Überschrift fürs Schreiben und so sind wir in die kreative Phase eingestiegen. Mutmaßlich prägt das dann die Stimmung und die Gedanken, so dass die Ideen entsprechend fast wie von selbst in diese Richtung gingen. Mit Corona hatte das nichts zu tun, denn die Songs wurden bereits vollständig vor der Pandemie geschrieben.

J.D.W.E.: Es geht weiter mit dem beeindruckenden Lied „Wie ein Gebet“, das mich von der ersten Sekunde an gefesselt hat. Besonders die energische zweite Hälfte geht extrem unter die Haut. „Auf ewig dein, führst du wieder einen Krieg. Auf ewig dein, in dem am Ende niemand siegt.“ Der Song ist ein mehr als passender Titeltrack, obwohl der Liedtitel ja ein klein wenig anders ist als der Albumtitel. Warum findet ihr „Gebete“ als übergeordneten Begriff für das Album so passend?

Torsten Bäumer: Es standen verschiedene Albumtitel zur Auswahl, unter anderem tatsächlich auch „Wie ein Gebet“. Wir haben uns als gesamte Band zusammengesetzt und darüber beraten, was in der Vergangenheit nicht immer der Fall war. Ich glaube Jörg war es, der dann irgendwann die Idee hatte, das Album schlicht „Gebete“ zu nennen. Auch darüber haben wir noch kontrovers diskutiert, aber schlussendlich sind wir dann alle zu dem Ergebnis gekommen, dass es der perfekte Titel für das Album ist. Er spiegelt auch sehr gut, die manchmal auf mich fast spirituell wirkende Atmosphäre des Albums wieder.



J.D.W.E.: Würdet ihr euch selbst als religiös bezeichnen? Inwiefern kann man sich euren Glauben vorstellen?

Torsten Bäumer: Ich kann es dir nicht genau beantworten. Ich glaube schon, dass es irgendetwas Außernatürliches, Mächtiges gibt. Ob das dann aber „Götter“ sind, die über uns wachen, richten und urteilen? Ich weiß es einfach nicht. Ich glaube, man sollte auch zwischen „Glauben“ und „Religionen“ differenzieren. Ich respektiere wirklich jede Art von Glauben, Religionen führen jedoch leider nicht immer Gutes im Schilde.

J.D.W.E.: Betet ihr selber regelmäßig?

Torsten Bäumer: Ich erwische mich manchmal dabei, dass ich in schwierigen Situationen leise Sätze für mich spreche, die vielleicht einem „Gebet“ gleichkommen mögen, zu wem auch immer.

„Gebete“ können ja auch anklagen und aufrütteln.


J.D.W.E.: Unter anderem bei den Songs „Wenn Gewalt die Stille bricht“ oder auch bei „Prophet“ werdet ihr auch von sanften Damen-Vocals unterstützt. Könnt ihr mir etwas darüber erzählen?

Jörg Bäumer: Bei sechs Titeln singt Tina Frank mit. Tina ist eine extrem gute Sängerin und hat schon bei unzähligen Produktionen in ganz unterschiedlichen Genres mitgewirkt. Ursprünglich kommt sie eher aus dem Jazz- und Pop-Genre, sie ist aber nicht auf eine bestimmte Richtung fixiert, sondern sehr vielseitig. Im düsteren/härteren Sektor war sie z.B. für Eisbrecher schon mehrfach tätig. Und wahrscheinlich wissen die wenigsten, dass sie die prägende Stimme neben Oli P. beim Herbert Grönemeyer Cover „Flugzeuge im Bauch “ ist.


J.D.W.E.: Könnt ihr mir generell etwas über die gesamte Produktion des Albums erzählen? Wie lange habt ihr dran gearbeitet?

Jörg Bäumer: Etwa 2,5 Jahre, inkl. des Songwritings. Die eigentliche Produktion mit Aufnehmen, Mischen und Mastern dauerte etwa ein Jahr. Wir haben ja noch andere Jobs, deshalb dauert es vielleicht etwas länger als bei Bands die 8-10 Stunden täglich daran arbeiten können. Wir finden aber, dass drei Jahre zwischen zwei Platten noch ganz okay ist. Wir haben alles selbst gemacht, lediglich den Mix und das Master haben wir in die erfahrenden Hände von Dennis Mikus (u.a. Letzte Instanz) gelegt, mit ihm arbeiten wir jetzt auch schon etwas länger.

J.D.W.E.: Neben Mystigma geht ihr auch noch anderen Jobs nach. Darf ich fragen, was ihr arbeitet?

Jörg Bäumer: Torsten und ich arbeiten beide als Heim- und Pflegedienstleiter in der stationären Altenpflege, aber in unterschiedlichen Einrichtungen. Unser Bassist Stephan ist im öffentlichen Dienst tätig, Malte unser Drummer hat noch am ehesten beruflich etwas mit Musik zu tun, denn er ist im Vertrieb für Drums tätig.

J.D.W.E.: Einer meiner absoluten Lieblingssongs des Albums ist auf jeden Fall „Prophet“, aber da macht ihr es einem ja nicht gerade leicht, da das Werk wirklich aus rundum gelungenen Stücken besteht, die noch dazu sehr vielseitig sind. Gibt es einen Song, der euch besonders viel bedeutet und wenn ja, welcher und warum?

Jörg Bäumer: Ich mag „Wenn Gewalt die Stille bricht“, „Erlösung“, „Charon“ und „Wie ein Gebet“ sehr gerne. Letzterer ist ja so etwas wie der (heimliche) Titeltrack. Diese Songs sind von der Atmosphäre sehr intensiv.

Torsten Bäumer: Bei mir wechselt es je nach Stimmungslage. Manchmal habe ich große Lust auf die härteren Nummern wie „Schockraum“ „Lebenslänglich“ oder „Herzakkord“, zu später Stunde bei einem Glas Wein sind es aber vor allem „Wenn Gewalt die Stille bricht“ und „Erlösung“, die mich sehr berühren. „Wie ein Gebet“ ist für mich ebenfalls ein sehr zentraler Song des Albums.


J.D.W.E.: Und gibt es auch das Gegenteil? Habt ihr bei einem Song gehadert, ob ihr ihn aufs Album packen sollt oder nicht?

Jörg Bäumer: Wir sind schon sehr selbstkritisch und reflektieren uns häufig, da findet man immer was. Wir selbst haben ja schon einen gewissen Abstand zu den Songs, sie sind für uns nicht mehr ganz frisch und mit ein wenig Distanz findet man immer Dinge, die man noch verbessern kann, das ist auch diesmal so. Aber nicht, dass ein falscher Eindruck entsteht: Wir sind mit dem Album schon sehr zufrieden und wir haben uns weiterentwickelt, das ist Fakt.


J.D.W.E.: „Siehst du nicht... ich bin ein Dornenmensch... der keine Wärme spendet und keine Liebe kennt...“... Vor allem der Lyric zu „Dornenmensch“ hat mich sehr berührt. „Wenn ich dir die Hand reiche, ziehst du sie lieber fort...“ Auch ich kenne einige solche Personen. Ist der Song sehr persönlich?

Torsten Bäumer: Teilweise ist der Song persönlich. Es geht aber generell eher um das Gefühl ausgegrenzt zu werden und sich nicht anerkannt zu fühlen, nur weil man vielleicht anders denkt und nicht in der Masse „mitschwimmt“. „Dornenmensch“ ist ein Plädoyer für Toleranz und Respekt untereinander, egal wo jemand herkommt, wie er aussieht und was er denkt. Ich glaube jeder hatte schon mal Situationen, wo er sich unverstanden und wenig respektiert gefühlt hat.




J.D.W.E.: Jörg und Torsten, ihr seid ja Geschwister. Ist eure enge Verbundenheit bei der Zusammenarbeit immer von Vorteil oder gibt es auch mal Momente, wo ihr nicht einer Meinung seid? Wie löst ihr eine solche Situation?

Torsten Bäumer: Natürlich gibt es genügend Situationen, wo wir nicht immer einer Meinung waren und sind. Bei der Produktion des Albums war das teilweise auch der Fall. Und ich glaube wir setzen uns wesentlich kritischer mit uns auseinander, als wenn wir „nur“ befreundet wären. Gerade eben weil wir ein enges Vertrauensverhältnis haben, können wir uns auch unbequeme Wahrheiten sagen.

Aber wir finden immer eine Lösung, mit der wir dann beide oder die gesamte Band leben können. Kontroverse Diskussionen gibt es schon häufig und das ist auch wichtig, aber insgesamt sind wir schon ein verschworener Haufen.

J.D.W.E.: Blicken wir doch ganz zum Anfang von Mystigma. Mittlerweile veröffentlicht ihr ja schon euer 6. Studioalbum. Kannst du dich noch an den Moment erinnern als feststand, dass Mystigma geboren wird? Wie ist der Grundgedanke entstanden?

Torsten Bäumer: Unser erstes Studioalbum unter dem Namen „Mystigma“ haben wir 2005 veröffentlicht. „Gebete“ ist tatsächlich jetzt unser 6.Album unter dem Namen „Mystigma“. Aber wir haben schon vor 2005 unter einem etwas anderen Namen Musik gemacht. Die Wurzeln liegen also schon etwas länger zurück. Es war eine aufregende und geile Zeit eine eigene Band zu gründen. Natürlich ist der erste Gedanke seinen großen Idolen nachzueifern. Wir haben auch alles in uns aufgesogen, was veröffentlicht wurde. Jörg und Stephan waren auch von Anfang an dabei. Die Besetzung mit Malte an den Drums ist jetzt seit zehn Jahren stabil. Zu den meisten ehemaligen Bandmitgliedern haben wir nach wir vor ein gutes und freundschaftliches Verhältnis.


J.D.W.E.: Und was seht ihr als größte Veränderung von der Anfangszeit bis zum heutigen Tag?

Torsten Bäumer: Die Musik hat sich natürlich über die Jahre schon gewandelt. Ich denke das ist auch normal, da man sich ja als Mensch und Musiker zum einen weiterentwickelt, zum anderen aber auch neue Einflüsse und Impressionen in der Musik verarbeitet. Ein großer Unterschied ist sicherlich auch, dass wir seit dem Album „Schattenboten“ vollständig mit deutschen lyrics arbeiten. Die ersten beiden Alben waren mit englischen Texten, das „Unzerbrechlich“-Album hatte sowohl deutsche als auch englische Texte. Ich glaube, dass wir über die Jahre und Alben einen sehr eigenen Sound entwickelt haben.

J.D.W.E.: Mit „Sacrificed“ habt ihr auch eine Coverversion des Edge-of-Sanity-Songs mit aufs Album gepackt. Warum habt ihr euch gerade für diese Coverversion entschieden, die ich wirklich sehr gelungen finde.

Jörg Bäumer: Wir haben zu Beginn der Neunziger Jahre viele Bands aus dem härteren Sektor in uns aufgesogen. So ziemlich alles aus der Death-Metal-Kiste wurde sofort gekauft, wir waren da wirklich richtige Experten und immer up to date. Edge of Sanity waren damals auch stetige Begleiter und das Lied „Sacrificed“ hebte sich damals schon sehr von den sonst üblichen Sachen ab. Diesen Sisters-artigen Sound fanden wir damals schon sehr geil. Ich habe die Nummer dann eines Tages mal wieder ausgegraben und kam spontan auf die Idee den zu covern. Wir haben erst überlegt ob es Sinn macht, den Song mit zu veröffentlichen. Dann haben wir gedacht; warum eigentlich nicht, wir machen das einfach. Unterm Strich ist das unsere kleine Verneigung vor diese Epoche und die geile Zeit mit den vielen interessanten Bands.


J.D.W.E.: Ich finde es auch interessant, dass ausgerechnet die Coverversion der einzig englischsprachige Song auf dem Album ist. Wollt ihr es für die Zukunft beibehalten, dass ihr all eure Texte in deutsch verfasst oder seid ihr da offen für Experimente?

Torsten Bäumer: Mir persönlich fällt es am einfachsten, meine Gedanken und Gefühle in Deutsch zu verfassen. Aber ich stelle mich natürlich in den Dienst der Band und bin generell für Experimente offen. Es gibt ja auch nicht nur Deutsch und Englisch, sondern auch viele andere interessante Sprachen.


J.D.W.E.: Und nun möchte ich auch mal mit dem Gerücht aufräumen, dass ihr alle aus Osnabrück seid. Auch ich habe diese falsche Angabe, die man ja doch häufiger mal liest, geglaubt. Könnt ihr mir sagen, wo ihr alle genau herkommt?

Jörg Bäumer: Das Gerücht haben wir ja selbst gestreut, da es auch in unseren Info so steht (lacht). Du hast natürlich recht, da kannst Du nichts für. Es ist aber auch zugegeben nicht ganz gelogen, da zum einen unser Drummer Malte seinen Zweitwohnsitz in Osnabrück hat und wir anderen Drei aus dem Umland der Stadt Osnabrück kommen. Genau genommen sind wir tatsächlich Landeier, die irgendwo in der Mitte zwischen Münster und Osnabrück in der Nähe zum Teutoburger Wald leben. Man kann uns auch als Münsterländer bezeichnen. Mir persönlich gefällt es dort ganz gut, da ich kein Stadtmensch bin, sondern die Ruhe und Natur bevorzuge. Aber Osnabrücker klingt ja irgendwie cooler als Münsterländer oder? (lacht)

Interview: Manuela Ausserhofer

Fotos: Mystigma




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